Hampi [Vijayanagar]
Wie immer, früh brechen wir auf. Die heutige Etappe ist mit an die 450 Kilometern die
längste auf unserer Route, eigentlich mit einer Übernachtung geplant, da viel mehr als 300 Kilometer
auf indischen Straßen fast nicht machbar sind am Tag. Die ersten Kilometer hinter Mysore führen über
sandige Nebenstraßen, durch Staubwolken rumpeln wir über die unendlich vielen Schlaglöcher.
Und beschleichen ernsthafte Zweifel, so jemals das weit entfernte Ziel an einem Tag erreichen zu können und
wir schauen auf der Karte schon nach eventuellen
Übernachtungsorten. Nach einer Weile erreichen wir dann allerdings die wohl beste Straße Indiens,
einen richtigen gut ausgebauten Highway, auf dem eine völlig
neue Reisegeschwindigkeit möglich wird.
An einer Raststätte gibt es ein vorzügliches Mittagessen, diese Einrichtungen sind hier wirklich nicht zu
verachten. Sonst gibt es auf diesem Streckenabschnitt hauptsächlich den üblichen Wahnsinn indischer
Verkehrswege zu beobachten: Lastwagen ohne Karosserie, bis übers Dach überfüllte Fahrzeuge aller Art,
die Mensch und Ware in großen Mengen befördern, leider auch immer wieder Unfälle, einmal mit einem
umgestürzten Bus.
Die Landschaft ist grandios, zunehmend wird sie fast wüstenartig und färbt sich rot. Zwischen Palmen stechen
immer wieder saftig grüne Felder aus den Erdfarben hervor und erste große Felsen tauchen auf.
Gegen Abend erreichen wir das Ziel unserer dreitägigen Autofahrt, den kleinen Ort Hampi. Dieser liegt in einer
bizarren Felslandschaft, die wir bereits auf der letzten Wegstrecke durchfahren und die eindrucksvoll im Abendlicht
leuchtet. Nachdem wir uns einige Zimmer angesehen haben, unter anderem eine Art "Ausnüchterungszelle" für
350 Rupien finden wir etwas nettes.
Nach dem Einzug essen wir mit unserem Fahrer David noch gemeinsam zu Abend
auf der Dachterasse des Guesthouse. Die Tage mit ihn waren einfach klasse,
einen besseren Fahrer kann man sich nicht wünschen. Zum Dank schenken wir ihm zum einen meine Straßenkarte,
die er unterwegs schon bewundert hatte und eine Uhr für seinen Sohn. David ist vor Freude ganz aus dem
Häuschen, was dann wiederum uns sehr freut. Der Abschied ist regelrecht rührend,
wir umarmen uns sogar noch, was in Indien schon eine fast ungewöhnliche Emotionsbekundung ist.
Vor der Nachtruhe müssen wir noch schnell zur lokalen Polizeistation, wo sich alle hier alle Ausländer registrieren
lassen müssen. In dem etwas gammeligen Büro hängen Steckbriefe, Warnungen vor Räubern und Drogen, verbunden
mit dem Hinweis, sich nach Einbruch der Dunkelheit nur in seinem Hotel aufzuhalten. Vor Jahren zutreffend scheint das
heute doch arg übertrieben.
Wir fallen jedenfalls in einen ruhigen Schlaf unter unserem Moskitonetz, auch wenn regelmäßige
Stromausfälle den Deckenventilator zeitweise außer Gefecht setzen und man munter vor sich hin schwitzt.
Hampi war eine zeitlang die Königsstadt Vijayanagar und damals ein reicher und prachtvoller Ort, wovon heute noch zahlreiche Ruinen von Tempeln und Basaren zeugen. Diese und die umgebende Landschaft machen den Reiz Hampis aus. Ab und zu las ich entäuschte Berichte von Leuten, die vor Jahren einmal hier waren und nach ihrer Wiederkehr vom mittlerweile starken Tourimus entsetzt waren. Hampi ist touristisch, keine Frage. Noch vor einigen Jahren gab es so wie keine Unterkunftsmöglichkeiten in Hampi, Quartier musste in der Kreisstadt Hospet bezogen werden. Ganz anderes heute, im eigentlichen kleinen Hampi-Basar reihen sich Guesthouse an Guesthouse, dazwischen sind Restaurants, Souvenirshops und Internetcafés zu finden, alles was das Herz des Reisenden vermeindlich begehrt. Dennoch, das Dorf hat einen eigenen Charme bewahrt, finde ich, unter anderem durch die zahlreichen indischen Pilgergruppen, die zu dem auch heute noch geheiligten Ort reisen.
Hampi-Basar ist schnell erkundet, wir streifen ein wenig durch die Gassen, in denen wenige Motorfahrzeuge und dafür
um so mehr Küher unterwegs sind. Überragt wird das ganze vom hohen
Virupaksha-Tempel, der als eines der wenigen Bauwerke
erhalten ist, heute noch genutzt wird und viele Pilger anzieht. Im Grunde ein sehr entspannendes Dorf, sieht man von den
diversen Schleppern ab, die einem irgend etwas andrehen wollen. Hier sind auch zahlreiche "Scheinheilige" zu nennen,
die in farbenfohe Kostüme gehüllt heilige Männer und Wahrsager miemen zum Zwecke des Fotografierens gegen
schnöden Mammon.
Die Hauptstraße mündet am Ortsende in einen der ehemaligen Basare, einen
Platz der auf hunderte Meter zu beiden Seiten von Säulenarkaden gesämt wird. Mit etwas Fantasie
kann man sich noch vorstellen, wie hier einst dicht an dicht Händler saßen, die Seide, Gold und Edelsteine
verkauften. Von dieser Pracht ist nichts geblieben, heute sind die Arkaden zerfallen.
Hinter dem Basar geht es steil bergan auf den Matanga Hill,
den wir zum Sonnenuntergang besteigen. Oben trifft man kaum einen Menschen und hat einen atemberaubenden Blick, weit über Hampi
und die einzigartige Umgebung. Im warmen Licht der Sonne wirken die Felsformationen besonders eindrucksvoll.
Nach dem Abend steht fest, auch der Sonnenaufgang muss vom Matanga Hill aus beobachtet werden. Entsprechend sind wir zeitig
aus den Federn, finden im Ort trotz der frühen Stunde schon einen Tee und begeben uns dann durch die Dunkelheit
auf den Anstieg zum Gipfel. Vor ein paar Jahren war dies wohl nicht so einfach möglich, da es in der Gegend wirklich noch
bewaffnete Räuber gab. Das scheint sich gelegt zu haben, wir müssen nur noch aufpassen, das wir auf dem felsigen
Pfad nicht falsch auftreten.
An diesem Morgen haben wir den Berg wirklich ganz für uns. Wir bauen unsere Stative auf und geniessen dann schweigend
die Aussicht, während es dämmert und die umliegenden Felsen und Ruinen aus dem Morgendunst auftauchen, die Landschaft
pastellartig gestaffelt in orangem Licht. Derartige
Augenblicke sind immer wieder einizgartig, der Wahnsinn.
Mit den ersten Strahlen der Sonne ist es vorbei mit der Einsamkeit, die allerdings in diesem Fall nicht von anderen Menschen
unterbrochen wird. Scharen kleiner Affen sind erwacht und treiben nun Schabernack, neugierig wagen sie sich immer näher
heran. Alles essbare und tragbare müssen wir schnell sicherstellen, diese Kollegen greifen sich alles, was sie bekommen
können und verschwinden dann damit in den Felsen. Wir geben ihnen ein paar trockene Kekse und sehen uns eine ganze Weile,
an wie sie heruntoben und klettern, sich um erbeutete Wasserflaschen und ähnliches balgen.
Dann wird es Zeit, den Berg herunter zu steigen und uns erstmal ein Frühstück zu gönnen.
Das Schreiben von Postkarten will nun auch endlich erledigt werden und wir sind doch erstaunt, dass
für das Versenden bei der Post kein Formular ausgefüllt werden muss. Damit der Rest des Tages nicht allzu faul verläuft,
mieten wir einen Motorroller, um die weitere Umgebung Hampis zu erkunden. Die Fahrt über die umliegenden
Dörfer gibt ein wenig Einblick in das ländliche Leben. Als wir uns das Beladen einiger Ochsenkarren ansehen, werden wir
von Kindern der nahegelegenen Schule umschwärmt. Ausnahmsweise sind die wirklich sehr penetrant und werden nervig, so
dass wir letztlich die Flucht ergreifen, ohne die geforderten Kugelschreiber, Bonbons oder Geld zu verteilen, wozu auch.
Von dieser Ausnahme abgesehen begegnen uns noch einige nette Menschen auf unserer Tour, unter anderem eine alte Frau, die Lehmziegel
herstellt.
In der mittlerweile tiefer stehenden Sonne leuchtet das allgegenwärtige Zuckerrohr im Gegenlicht, hier versuchen wir und auch noch
fotografisch, auch wenn die gewünschten Ergebnisse nicht ganz erreicht werden.
Pünktlich geben wir den Roller zurück und schlendern zum Abendessen in ein kleines Restaurant, das langsam zu
unserem Stammlokal avanciert. In der Regel kehren wir hier mindestens zweimal täglich ein, sei es nur wegen des leckeren
Tees, der hier mit viel Zimt zubereitet wird. Auch die − natürlich vegetarische − Speisekarte gibt
einiges her. Zu einem meiner Leibgerichte in Indien hat sich Paneer herausgebildet, eine Art bröckeliger Frischkäse
der zum Beispiel mit Spinat [Palak Paneer] oder in einer scharfen Tomatensauce [Paneer Butter Masala] immer schmackhaft daher kommt.
Auch Alu Gobi, das ist Blumenkohl mit Kartoffeln, oder Momos, gefüllte Teigtaschen, sind nicht zu verschmähen.
Der kleine durch Hampi fließende Fluss ist natürlich ebenfalls
heilig. Früh morgens gibt es dort einiges zu sehen, eine große Menge Menschen versammelt sich,
um ein Bad zu nehmen, die Kleidung zu waschen und Kulthandlungen vorzunehmen. Es werden Räucherstäbchen
entzündel und Öllichter auf das Wasser gesetzt, Sadhus rezitieren heilige Verse und im Hintergrund
singen Frauen bei der Wäsche. Die Stimmung hat von Geschäftigkeit, Fröhlichkeit bis hin zu
andächtigen Momenten alles zu bieten.
Ein sehenswertes Spektakel ist dann die allmorgentliche Waschung des Tempelelefanten im Fluss, der das
Abbürsten sichtlich geniesst. In den Tempeln in Flußnähe stehen Kessel auf den Feuern und
Pilger nehmen gemeinsame Mahlzeiten ein. Die Stufen der Ghats
sind derweil bedeckt von bunten Saris, die meterlangen Stoffbahnen trocknen nach der Wäsche.
Stunden kann man hier morgens zubringen und sich einfach nur das ganze Treiben anschauen. Auch ein eigenes Bad in
den Fluten darf dabei sein, obwohl eine Aufschrift auf den Felsen warnt:
"swimming is danger".
Den Nachmittag des zweiten Tages wollen wir nutzen, um uns den abseits gelegenen
Hanuman-Tempel anzusehen.
Dieser ist bekannt für seine Schönheit und Lage auf einem hohen Felsen. Den Fluss überqueren wir
in einem der großen schwimmenden Körbe, die zwischen den Ufern pendeln. Eine Brücke gibt es
nicht, das Gefährt erreicht aber problemlos und trocken das andere Ufer.
Dort geht es weiter über schmale Pfade durch die Felsen und schließlich durch Reisfelder, Bananenplantagen
und Palmenhaine, wir müssen uns immer wieder orientieren. Der Tempelfelsen ist weithin sichtbar, richtig
verlaufen kann man sich daher kaum. Interessanter Weise sind, kaum hat man den eigentlichen Ort Hampi verlassen,
von den zahlreichen Touristen kaum noch welche zu sehen.
Nach einem längeren Füßmarsch müssen wir erst einmal
in der Getränkebude am Fuße des Felsens einkehren, bevor wir uns an den scheißtreibenden Aufstieg
über endlose Stufen machen. Unterwegs wird man immer mal wieder von frechen Affen belagert, die auf günstige
Gelegenheit warten, den Kletternden möglichst essbares aus den Taschen zu stibitzen.
Oben angekommen eröffnet sich ein sagenhafter Ausblick, auf der Kante des rötlichen Felsplateaus
liegt der kleine, weiße Tempelbau über dem Abgrund. Hier oben verbringen wir einige Zeit, klettern tempelbedingt
barfuß über die Felsen und entdecken immer neue Blicke weit über die Umgebung. Viel Betrieb herrscht nicht,
was den Genuss noch zusätzlich steigert. Der Tempel selbst würde die Mühe nicht unbedingt lohnen, aber
diese Landschaft tut es allemal.
Eigentlich war der Plan, später per Rikscha nach Hampi zurück zu fahren. Das stellte sich aber leider als
nicht realisierbar heraus. Also geht es zu Fuss auf den langen Rückweg. Viel trödeln können wir
dabei nicht, es wird bald dunkel. Wieder am Fluss angekommen suchen wir eine Weile, bis sich noch jemand mit einem
Schwimmkorb findet um und hinüber zu fahren. Diese Rückfahrt ist gegenüber dem Hinweg nur gegen eine
exorbitante Preisteigerung zu erhalten, aber was will man machen. Mangels Konkurrenz sparen wir und das Handeln
weitgehend.
Auf der anderen Seite liegt noch ein gutes Stück Weg vor uns. Als die Sonne blutrot über dem Fluss untergeht,
können wir und eine Fotopause natürlich nicht verkneifen. Dann kommen mit der Dunkelheit die Mücken
und reichlich zerstochen erreichen wir schließlich Hampi.
Für die Weiterfahrt tags drauf wird noch einmal der Nachtzug genutzt, der in rund zehn Stunden
Bangalore erreichen soll. Nach einem weiteren Tag in den Bergen rund um Hampi organisieren wir einen Rikschafahrer für den Abend.
Der hat sein Fahrzeug wegen Geburtstag desselben gerade feierlich herausgeputzt und stellt uns einen
"special discount" in Aussicht. Der Preis ist
zwar keinesfalls besonders niedrig, aber wir schlagen dennoch ein, weil es einfach ein lustiger Vogel ist. Bei Abfahrt
haben wir Probleme, das Gepäck zu vertauen, da der ohnehin enge dafür vorgesehen Raum im wesentlichen von
einer gigantischen Lautsprecheranlage beansprucht wird. Irgendwie bekommen wir aber alles reingequetscht, inklusive uns
und einem Kumpel des Fahrers, dann rasen wir als rollende Disko durch die Abenddämmerung ins etwa 20 Kilometer
entfernte Hospet zum Bahnhof. Wenn das mal kein rauschender Abgang ist ;-)
Das Treiben auf indischen Bahnhöfen bekommen wir dann noch etwas ausgiebiger mit, da der "Hampi Express" geringfügig
verspätet ist. Egal, Tee und Snacks sorgen ebenso für Zeitvertreib wie das bunte Völkchen, das sich
auf dem Bahnsteig versammelt hat.