Ha Noi
[2003]
Mit unserem zweiten Inlandsflug sind die etlichen
hundert Kilometer nach Ha Noi in einer guten Stunde überbrückt.
Aus
Hoi An hatten wir ein kleines Hotel in der Altstadt angerufen, wir
werden deshalb am ziemlich außerhalb liegenden Flughafen
abgeholt. Der Fahrer nimmt bei erreichen der Stadt eine Abkürzung,
die uns durch eine ziemlich trostlose Gegend führt und das Auto
eine ganze Zeit in Baustellen-Staub hüllt, so dass man kaum noch
etwas sieht.
Der
nächste Eindruck von Ha Noi ist aber schon viel besser, wir
erreichen die Altstadt. Unser Zimmer über einen Seiden-Shop
erweist sich als brauchbar, hier werden wir für die letzten Tage
in Vietnam bleiben.
Wir
machen einen ersten Spaziergang rund um den Hoan Kiem See am Rande
der Altstadt. Rund um den See ist eine gepflegte Grünanlage und
mitten im Wasser der Gedenktempel an die legendäre Schildkröte.
Der einzige Wermutstropfen an diesem Nachmittag ist die Hitze und
eine Luft, die man vor Feuchtigkeit fast trinken kann. Das tun wir
dann aber doch in einem Cafe am Seeufer, bevor wir noch etwas durch
das koloniale Viertel rund um die Oper laufen. Durchgeschwitzt wie
selten kommen wir zurück zum Hotel.
Am
nächsten Tag gehen wir kreuz und quer durch die Altstadt, die
sich optimal zu Fuß entdecken läßt. Wie vor
Jahrhunderten gibt es noch etliche Gassen, die festen Zünften
zugeordnet sind. So gibt es in einer Straße nur "Tempelbedarf",
anderswo allerlei Metall, Haushaltswaren, Bambus, Särge,
Steinmetze ... Überall ist große Geschäftigkeit,
Hämmern, Schweißen und reger Handel.
Die Zeit scheint hier
ein wenig stehen geblieben zu sein, wir finden hier tatsächlich
eine der ursprünglichsten und schönsten Altstädte
Asiens. Von wenigen Ausnahmen abgesehen dominiert nicht der
Tourismus. Selbst das Warenangebot der fliegenden Händler, die
einem am Hoan Kiem See ständig Postkarten, Reiseführer oder
nachgemachte "Original-Vietnamkriegs-Zippos" andrehen
wollen, ist im Inneren der Altstadt auf die Bedürfnisse der
Einheimischen abgestimmt. An den Tragestangen werden Obst, Brot,
Haushaltswaren oder komplette Garküchen transportiert. Es gibt
Straßenfriseure, man kann sich wiegen lassen oder den
Fahrrad-Reparaturservice am Straßenrand frequentieren.
Straßencafes oder ähnliches gibt es in der Stadt der Händler und Handwerker kaum. Wer zufällig darauf stößt, findet aber alte vietnamesische Kaffeehäuser. Diese sind absolut unscheinbar, in irgendeinem Hauseingang verbergen sich schmucklose Räume mit Plastikhöckerchen. Die Verständigung ist meist nur auf Vietnamesisch möglich, zur Auswahl stehen verschiedene Kaffee-Zubereitungsarten mit oder ohne Eis. Die wohl bekannteste wird im alten Cafe Giang angeboten, der Kaffee Trung ist mit Eigelb und Zucker aufgeschäumt und ein absolutes Erlebnis.
Interessant
sind die typischen Altstadthäuser. Sie sind sehr schmal, oft nur
zwei, drei Meter breit, um möglichst vielen die Möglichkeit
zu geben, zur Straße hin einen kleinen Laden zu betreiben. Dazu
kommen wohl noch steuerliche Gründe. Dafür sind die Häuser
bis zu 80 Meter tief, hinter dem Laden reihen sich endlos
Werkstätten, Innenhöfe und Wohnräume an einem schmalen
Flur aneinander.
Zum Essen waren wir abends im "Bittet". Als Nachbarschaftstreff gegründet, werden heute quasi im Wohnzimmer in den Tiefen eines Altstadthauses eben Bittets (Beefsteaks) oder Gambas vom Grill gereicht, dazu gibt es noch eine klasse Fischsuppe. Alles in fast familiärer Atmosphäre und zu kleinen Preisen. Weder das typische Auarium noch die "Merry Christmas & a Happy New Year"-Aufkleber an den Fenstern fehlen, beides begegnet einem in Vietnams Lokalen regelmässig.
Noch
häufiger spazieren wir in der Altstadt, besuchen
(Straßen-)märkte oder eine der Garküchen. Es gibt
immer etwas neues zu entdecken und Fotomotive ohne Ende.
Ein
tolles Erlebnis war der Besuch des Wasserpuppen-Theaters. Diese Art
Marionettenspiel, wobei die Figuren auf dem Wasser schwimmen und von
hinten mit Stangen und Drähten bewegt werden, hat eine lange
Tradition. Zu Live-Musik werden Szenen aus dem bäuerlichen
Alltag und Legenden nachgespielt. Diese jahrhunderte alte Kunst
lebt heute komischer Weise fast nur noch durch den Tourismus.
Zum
Pflichtprogramm in Ha Noi gehörte natürlich noch das Ho Chi
Minh Mausoleum. Nicht zu legere Kleidung und würdiges Benehmen
vorausgesetzt, kann man gemessenen Schrittes am einbalsamierten
Revolutionär vorbeischreiten. Das freundliche Gesicht wirkt
etwas wächsern, was aber durchaus auch auf die unbeweglichen
Wachsoldaten zutrifft.
Viele
Einheimische sind im und um das Mausoleum herum unterwegs. Die Schulklassen
wohl eher, weil sie müssen, aber viele scheinbar auch
aus echter Verehrung für Onkel Ho, der im ganzen Land allgegenwärtig
ist. Einige alte Männer mit ihren Bärten, die wir im Park sehen,
kommen ihm äusserlich sehr nahe.
Nach
Verlassen des Mausoleums bekommt man Kameras und Taschen zurück
und kann im benachbarten Garten noch den Präsidentenpalast, das
schöne Haus von Onkel Ho an einem kleinen See und die berühmte
"Einpfahl-Pagode" bewundern. Dieser kleine Holztempel ist
ganz hübsch, leider ruht er aber seit den 60er Jahren auf einer
dicken Betonsäule, worunter die Optik etwas leidet.
Seit
1990 gibt es das postmoderne Ho-Chi-Minh-Museum. Während das
Erdgeschoss durchaus interessant ist, mit vielen Bildern, Dokumenten
etc., findet sich im Obergeschoss moderne Kunst und Kitsch, dessen
Bedeutung sich nicht so ganz erschließt.
Ganz in der Nähe stossen wir durch Zufall auf einen Biergarten, eine Spezialität in Hanoi (aber leider in der Altstadt kaum noch vertreten). Die (vietnamesische) Speisekarte bietet allerlei Leckereien. Dazu gibt es spottbilliges Bier vom Fass, was sich offensichtlich auch bei den Einheimischen, die hier Mittagspause machen, großer Beliebtheit erfreut. Nach der Rast sehen wir mitten in einem Gassengewirr ein Stück weiter in einem kleinen See die Trümmer einer B52, die hier seit 1972 liegen. Damals wurden alleine über Weihnachten 20 der Großbomber über Hanoi abgeschossen, man kann sich vorstellen, was hier an Bomben abgeworfen wurde.
Den letzten Tag in Ha Noi verbringen wir nochmal hauptsächlich in der Altstadt mit ausgiebigen Shopping. Wir finden viele originelle Kleinigkeiten als Mitbringsel, etwa handgeschnitzte Stempel, Maultrommeln und diverse Lackarbeiten. Dazu nehmen wir noch zwei Kilo Drachenfrüchte mit, die uns sehr gut geschmeckt haben und die es zu Hause (noch?) nicht gibt.
Ha Noi hat uns deutlich besser gefallen als Ho-Chi-Minh-City. Der (Moped-)verkehr nimmt auch hier ziemliche Ausmaße an, aber es ist noch vergleichbar ruhig. Die Stadt ist gemächlicher, beschaulicher und irgendwie natürlicher, auf jeden Fall einen Aufenthalt wert.
[2004]
Natürlich kommen wir deshalb
auch wieder. Diesmal fühlen wir uns Ha Noi schon wie zu Hause,
unter anderem weil es Nieselregen bei 18° gibt. Wir nutzen die
Stadt als Ausgangspunkt für Ausflüge in der Umgebung und
verbringen zwischendurch immer wieder ein paar Tage in der Altstadt,
die nach wie vor begeistert. Viel verändert hat sich in einem
Jahr nicht.
Außerdem besuchen wir dieses Jahr eine „Brief“-freundin mit der wir seit etlichen Monaten Emails schreiben. Dadurch lernen wir noch etwas mehr von Vietnam kennen und verbringen schöne Stunden in Ha Noi. Unter anderem besuchen wir abends, es ist der erste Tag des Mondmonats, zusammen eine Pagode, wie die meisten Vietnamesen an diesem Tag. Jede der Pagoden hat ihren eigenen Zweck, man bittet z.B. in der einen um Gesundheit, eine andere wiederum ist für Kinderwünsche oder eine Ehe zuständig. Außerhalb der touristischen Besuchszeiten ist die Atmosphäre in den Tempeln sehr feierlich und besinnlich, aber auch fröhlich. Man trifft sich, hält ein Schwätzchen und teilweise gibt es auch ein gemeinsames Essen, als Picknick im Innenhof der Pagode.